Als die Firma Kondor noch für "Deutschlands Musterrad" warb

Aus der Geschichte einer Brandenburger Fahrrad- und Autofabrik

Hans Juchert (Text), Märkische Allgemeine vom 19. Januar 1993

In den Adressbüchern der Stadt Brandenburg fand man schon 1870 den Schlossermeister Leopold Liepe, Neustadt Heidestraße 52, (heute noch Straße der Jungen Pioniere) verzeichnet. 1877 kam zur Schlosserei noch der Maschinenbau. Ab 1890 nannte sich die Firma A. L. Liepe, und es kamen als weitere Arbeitsgebiete Anlagen von elektrischen Haustelegrafen, Telefonen und etwas später Wasserleitungen hinzu. Besitzer der Firma wurde 1894 Paul Liepe. Er beschäftigte sich speziell mit der Installation von Zentralheizungen sowie Gas- und Wasserleitungen.

Im März 1895 trat Herrmann Breest aus Berlin als Teilhaber ein, und man gründete die Firma A. L. Liepe & Breest. Diese Gesellschaft ließ sich in der Wredowstraße 10 neue Fabrikgebäude errichten, welche noch heute vorhanden sind.


Am 03.09.1895 konnte die Fabrik bezogen werden.

Kurze Zeit später veränderte die Firma ihren Namen in "Kondor-Fahrrad-Werke, Gas- und Wasserleitungen, Centralheizungen, Wre-dowstraße 10".

Die letzten Produktionszweige scheinen aber bald aufgegeben zu sein, denn es erschienen im "Brandenburger Anzeiger" keine Werbungen mehr.


Die erste Werbung für Arbeitskräfte zum Fahrradbau erschien am 03.12.1895. Damit könnte man als Beginn der Fahrradherstellung den Herbst 1895 festlegen. Bis Ende 1899 erschienen Werbeannoncen für Arbeitskräfte im Fahrradbau regelmäßig und bei den Generalvertretern für Kondor- Fahrräder bis zum Sommer 1900.


In diesen Werbungen wurden die Kondor- Räder in den vorzüglichsten Tönen angeboten. So zum Beispiel als "Deutschlands Musterrad" oder "Kondor ist das beste Fahrrad der Welt"

Im Juli 1897 wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Der Gesellschaftsvertrag vom 30.07.1897 trat mit Rückwirkung vom 01.01.1897 in Kraft. Zweck der Gesellschaft ist die Anfertigung von Fahrrädern, deren Teile und ähnlicher Artikel. Das Grundkapital betrug 450.000 Mark, aufgeteilt in 450 Aktien zu je 1.000 Mark. Für 1897 wurde schon ein Nettogewinn von 172.583,91 Mark (also 15 Prozent) Dividende ausgezahlt. Auf Beschluss der Generalversammlung vom 15.03.1898 wurde das Grundkapital um 150.000 Mark auf 600.000 Mark erhöht. Eine nochmalige Kapitalerhöhung erfolgte im Oktober 1899 um 400.000 Mark. So war zu diesem Zeitraum das Höchstkapital der AG  von 1.000.000 Mark, aufgeteilt in 1.000 Aktien zu je 1.000 Mark, erreicht. 

Der Personalbestand betrug etwa 300 Arbeiter und Angestellte. 

Kondor-Fahrradmodelle ca. 1900


Nach den Geschäftserfolgen im ersten Jahr der Gründung der AG sah es in den nächsten Jahren nicht mehr so günstig aus. Die Gründe dafür lagen nicht bei der Geschäftsführung, sondern waren allgemeiner Natur. 

In den Jahren 1895/96 wurden in Deutschland über 40 neue mittlere und kleine Fahrradfabriken gegründet. 

In Brandenburg, wo schon die Brennabor-Werke und die Corona-Fahrradfabrik bestanden, waren es neben dem Kondor-Fahrrad-Werk auch noch die Fahrradfirmen Excelsior, Alexander und Roland.

Allgemein begann die Fahrradbranche in Deutschland das Jahr 1897 mit einer Hochkonjunktur. Die Produktion verdoppelte sich gegenüber 1896, so dass schon im Spätsommer 1897 der Absatz stockte. Dazu kam aber für die Fahrradproduzenten und Händler noch eine andere Gefahr. Während die heimischen Fahrradfabriken prall gefüllte Lager hatten, überschwemmte eine neue Konkurrenz aus Übersee den Markt. Die Kaufhäuser und Fahrradvertriebe boten amerikanische Fahrräder unter 100 Mark an. Ein gutes Rad deutscher Produktion kostete immerhin noch 200 bis 300 Mark. Die Qualität der amerikanischen Räder, so kann man Zeitungsberichten entnehmen, ließ viel zu wünschen übrig. Die in der Fahrradindustrie entstandene Krise verschärfte sich in den nächsten Jahren noch und hielt bis 1901 an. Erst im Jahre 1902 begann eine Normalisierung in der Fahrradbranche. Während dieser Zeit schlossen viele kleinere Firmen oder mussten sich nach anderen Produktionszweigen umsehen. 

In Brandenburg wurden von den kleinen Fahrradfirmen in verstärktem Maße  Armaturen hergestellt und größere Mengen von Metallgussteilen erzeugt.  Einige auswärtige Firmen gingen den selben Weg wie die Kondor-Fahrrad-Werke, sie begannen den Bau der sich zu dieser Zeit immer stärker verbreitenden Kraftfahrzeuge.

Die Firmenleitung beschloss, zum Jahresende 1899 Motorwagen herzustellen und dafür die wegen der Fahrradkrise für den Fahrradbau nicht mehr benötigten Räume zu nutzen.

Annoncen zur Arbeitskräftesuche für die Automobilabteilung der Kondorwerke ab 1900




Schon für das  Frühjahr 1900 sollten "Kleine Automobilwagen allervollkommendster Ausführung" auf den Markt gebracht werden, aber erst im Juni 1900 gab es die ersten Kondor- Automobile auf dem Markt, da die Fabrikationsvorbereitungen und Experimente mehr Zeit in Anspruch nahmen als erwartet. Angeboten wurden kleine Motorwagen für zwei bis vier Personen mit vier verschiedenen Aufbauten. Alle Modelle waren mit wassergekühlten Einzylindermotoren mit einer Leistung von 3,5 PS ausgestattet. Die Geschwindigkeit wurde mit 30 km/h angegeben. die Motoren wurden, wie es bei vielen dieser kleinen Firmen üblich war, von einer Fremdfirma bezogen. Der Preis für ein Fahrzeug betrug zwischen 4.000 und 4.200 Mark.

"Endlich ist es und gelungen, wonach man allgemein verlangt, nämlich die Konstruktion eines äußerst einfachen, aber absolut betriebssicheren Motorwagens, an welchem alle Übelstände, die man bisher bei den meisten Automobilen kannte, gänzlich vermieden sind." Dieses verkündeten die Kondor-Werke in ihrem Spezialkatalog der Automobilabteilung.


1900 konnten über 40 Motorwagen verkauft werden. Jedoch wurde in diesem Jahr kein Gewinn erzielt, und es konnte auch erstmals seit Gründung der Aktiengesellschaft keine Dividende ausgezahlt werden. die Fabrikationsumstellung hatte zu große Kosten verursacht. trotzdem versuchte die Betriebsleitung nun die "Flucht nach vorn", indem sie das Bauprogramm der Automobil-Abteilung erweiterte und zusätzlich eine Motorboot- Abteilung gründete.

Für 1901 wurden sechs verschiedene Motorwagen mit 3,5 PS- oder 4,5 PS -Motor angeboten. die Preise betrugen 4.100 bis 4.550 Mark, je nach Ausführung und Stärke des Motors.


Gebührende Anerkennung fanden die kleinen Kondor-Wagen überall, wo sie sich zeigten. So wurden sie 1900 auf der Allgemeinen Ausstellung für Volkswohl in Leipzig mit der goldenen Medaille und einem Ehrenpreis ausgezeichnet. Im Juni 1900 erhielten sie auf der Allgemeinen Motorfahrzeugausstellung in Nürnberg eine Verdienstmedaille.

Auch bei Motorsportveranstaltungen bewiesen sie im Jahre 1900 ihr Stehvermögen. So beteiligten sich zwei Kondor- Wagen an der Fernfahrt Berlin-Aachen vom 30. August bis 02. September. Die Fernfahrt führte auch über Brandenburg durch die Potsdamer-, St. Annen-, Haupt-, Ritter-, Plauer- und Magdeburger Straße. Hiesige Radfahrervereine übernahmen die Führung der Fahrzeuge durch die Stadt. 33 Motorfahrzeuge, eingeteilt in vier Klassen, starteten in Berlin. Davon sollen nach Angaben des "Brandenburger Anzeigers" vom 04.09.1900 "nur etwa ein Drittel das Band passiert" haben, also in Aachen angekommen sein.

Im gleichen Artikel hieß es: "Im Uebrigen können wir noch von den beiden Automobilen der Condor-Fahrradwerke mittheilen, daß dieselben wohlbehalten am Sonntag Nachmittag in Aachen angekommen sind. Die Voiturette legte trotz mehrfacher unterwegs stattgehabter Carambolagen die 690 Kilometer lange Strecke in reichlich 27 Stunden zurück und errang in ihrer Klasse den zweiten Platz (von 7 Teilnehmern). Das andere Gefährt fuhr in der Klasse "Leichte Tourenwagen" und kam in dieser Abtheilung als drittes Fahrzeug an. Gewiss ein schönes Resultat, das die Condor-Fahrradwerke hiermit erzielt haben, und ein guter Beweis für die  Leistungsfähigkeit ihrer Fahrzeuge."


Auch im Jahre 1901 beteiligten sich die Kondor-Fahrradwerke  wieder an einer Automobilwettfahrt. Es war die über 1.196 Kilometer führende Fahrt Paris-Berlin. ein Fahrzeug fuhr in der Rennabteilung mit. Ob aber das Rennfahrzeug die Fahrt überstand und sein Ziel erreichte, wird im "Brandenburger Anzeiger" trotz einer großen Anzahl von Artikeln nicht mitgeteilt. Aufgrund zu hoher Preise gegenüber anderen Automobilherstellern blieb der Absatz hinter den Erwartungen zurück. Auch waren die Ansprüche der Käufer an die Leistungsfähigkeit der Motorwagen gestiegen und damit die Nachfrage nach einzylindrigen Wagen zurückgegangen. Die Motorbootabteilung brachte ebenfalls nicht die erhofften Gewinne. 

Die Firma geriet immer mehr in die roten Zahlen, und das führte dazu, dass die Generalversammlung am 21. Dezember 1901 die Auflösung der Aktiengesellschaft beschließen musste. Die Liquidation im Jahre 1902 erfolgte mit einem Verlust von 98.3111 Mark. Damit erloschen das Unternehmen und der Name Kondor in Brandenburg.

 

Ähnlich erging es auch den Alexander-Fahrradwerken und der Roland-Fahrradfabrik, die sich zuletzt noch Minerva- und Colibri-Fahrradwerke nannte.

Nach der Motorradfabrikation ab 1903 versuchten es dann 1904 die Corona-Fahrradwerke mit dem Bau von Motorwagen und 1907 die Brennabor-Werke mit ihrer Brennaborette. Beide leiteten ihre Fahrzeuge von Motorrädern ab. Die Kondor-Wagen waren aber die ersten Autos, die in Brandenburg gebaut wurden. 

 

Die Fabrikgebäude der Kondor-Fahrradwerke stehen heute nach 90 Jahren wieder leer. Der letzte produzierende Betrieb, die Märkische Waffel-GmbH, ging 1992 in Konkurs. In den vergangenen 90 Jahren sahen die Räume viele Veränderungen.

1903 übernahmen sie die Excelsior-Fahrradwerke bis zum Bau einer eigenen Fabrik 1907, im I. Weltkrieg dienten sie als Getreidespeicher, ab 1919 produzierte die Gundka-Spielwarenfabrik hier, und ab 1930 wurden dort bis 1992 Waffeln gebacken.

 

Quellen: Brandenburger Anzeiger, 1891-1905; Adressbücher Brandenburgs 1870-1905; Auto Motor Classic, Heft II, 1975, S. 14-15

Nach dem Ende der Kondor-Werke

Die Produktionsstätten im Wandel der Zeit

Es gab noch weitere Firmen, die ihren Sitz in den ehemaligen Kondor-Werken hatten.

Das Adressbuch von 1911 benennt den Lederhandschuhmacher Karl Kreckow nebst seiner Ehefrau, die als Schneiderin tätig war.

Von 1914-1919 war die Karosseriefabrik Gustav Reichert dort ansässig.

In den 1930 er Jahren gab es in der Wredowstraße 10  wieder eine Fahrradfabrik, die "Libelle GmbH".



Seit dem Konkurs der "Märkischen Waffel GmbH" 1992 standen die Gebäude leer und waren zunehmend dem Verfall und dem Vandalismus ausgesetzt. 

Aufgrund der bau- und wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung wurde  der Gebäudekomplex im September 2016  als Beispiel für den Industriebau der Kaiserzeit und als Zeugnis für die vielfältige gewerbliche Produktion in der Stadt Brandenburg unter Denkmalschutz gestellt. 

Seit 2018 werden Planungen und Rekonstruktionsarbeiten für Mietwohnungen von einem Investor durchgeführt.

 

Das einzige in Museen und Privatsammlungen bekannte Kondor-Fahrrad ist im Brandenburger Fahrradmuseum ausgestellt. 


Kondor-Rad in der Ausstellung "Als Brandenburg noch eine Fahrradstadt war"