Im Brandenburger Anzeiger vom 17.01. 1871 wird in der Kleinen Münzenstraße 10 der Nähmaschinenhandel von Wilhelm Eisenmenger beworben. Am 22.12.1871 wirbt die Nähmaschinenfabrik von W.Eisenmenger für ihre „vorzüglichst gearbeiteten Wheeler & Wilson-Nähmaschinen neuester Construktion, unter mehrjähriger Garantie von 35 Talern an“.
Zum 01.02.1873 gründeten der Maschineningenieur Carl-Gustav-Otto Waßmuth und der Maschinenbauer Wilhelm-Otto Eisenmenger die Firma Waßmuth & Eisenmenger Maschinenfabrik: Spezialität Nähmaschinen. Otto Waßmuth führte zu diesem Zeitpunkt eine Maschinenfabrik und Eisengießerei in der Sankt-Annenstraße 29.
Ein Produkt dieser Firma, eine gusseiserne Standpumpe, die auf dem Hof des Hauses Rathenower Str.8 installiert war, befindet sich in der Sammlung des Brandenburger Fahrradmuseums.
Am 04.04.1873 übergab Wilhelm Eisenmenger seine Geschäftsanteile an der Firma Waßmuth & Eisenmenger an seinen Sohn Otto Eisenmenger. Inhaber der Firma Waßmuth & Eisenmenger, Maschinenfabrik, Spezialität: Nähmaschinen waren jetzt Otto Waßmuth und Otto Eisenmenger.
Ab 1877 bezeichnet sich die Firma als Nähmaschinenfabrik für Singer-Familien-und Cylinder-Nähmaschinen, Sankt-Annenstraße 29.
In „Dinglers Polytechnischem Journal“,
welches besonders herausragende technische Neuerungen vorstellt, wird 1881 das D.R.P. 10774 (Deutsches Reichspatent) der Firma
Waßmuth & Eisenmenger erläutert.
Nähmaschinen-und Velocipedenfabrik lautet dann durch die Produktionserweiterung auf Fahrräder ab 1888 die Fabrikbezeichnung. Ab 1892 findet sich die Bezeichnung Nähmaschinen-und Kugellagerfabrik.
Am 06.04.1897 werden die neu erbauten Fabrikräume in der Bauhofstraße 25 bezogen, die durch die Erweiterung der Produktion notwendig geworden waren. Das Grundstück Bauhofstraße 25 reicht von der Bauhofstraße bis zum Jacobsgraben. Die Fabrikgebäude befinden sich unmittelbar am Jacobsgraben, angrenzend an die Gebäude der Kondor-Fahrradwerke. Da das Wohnhaus Bauhofstraße 25 keine Tordurchfahrt besitzt, erfolgte der Zugang zur Fabrik über die Wredowstraße 10 (Kondor-Fahrradwerk).
Zum 02.07.1897 wird die Firma „Brandenburgia Fabrik für Fahrradteile, Kugellager und Nähmaschinen, vorm. Waßmuth & Eisenmenger, Actiengesellschaft“ gegründet.
Das Grundkapital dieser Gesellschaft betrug 550.000 Mark. Für die Einbringung des Grundstückes Bauhofstr. 25 sowie die technische Einrichtung usw. erhielten die beiden Gesellschafter der Firma Waßmuth & Eisenmenger, Otto Waßmuth und Otto Eisenmenger, 500 Aktien mit einem Nennwert von je 1000 Mark. Die restlichen 50 Aktien zu je 1000 Mark wurden von den in der Gründungsbekanntmachung unter 2. bis 5. als Mitbegründer der AG genannten Personen übernommen.
Am 10.03.1898 wird die Firma Firma Waßmuth & Eisenmenger aus dem Handelsregister gelöscht, am 02.07.1898 wird aber noch das 25-jährige Jubiläum der Firma gefeiert.
Das erste Geschäftsjahr (1897) der „Brandenburgia-AG“ verlief erfolgreich und es konnte eine Dividende von 10% ausgezahlt werden.
Im Jahr 1899 wird in „Dinglers Polytechnischem Journal“ die Produktion von Fahrrädern mit einer besonders innovativen Steuersperre vermerkt.
Bedingt durch die deutschlandweite Fahrradkrise 1897-1901 (siehe Erläuterungen zu den Alexander-Fahrradwerken) verliefen die folgenden Geschäftsjahre offenbar nicht mehr so erfolgreich. Im Brandenburger Anzeiger wurden Aktien der Brandenburgia-AG mit einem Nennwert von 1000 Mark für 140 Mark angeboten. In den Jahren 1900 und 1902 werden weitere Aktien zu offenen Optionen offeriert.
Die Brandenburgia-AG konnte die Fahrradkrise vermutlich nur durch die Nähmaschinenproduktion überstehen.
Im Brandenburger Anzeiger sind insbesondere nach der Überwindung der Fahrradkrise Annoncen zur Arbeitskräftesuche zu finden.
Am 01.12.1904 kommt es bei der Brandenburgia-AG zu einem Arbeitskampf, der mit der Aussperrung der Arbeitskräfte und schließlich, so wird vermutet, in Brandstiftung durch die Arbeitskräfte mündet. Auf gutes Einvernehmen zwischen der Prinzipalität und dem Personal, welches auf der Feier zum 25-jährigen Betriebsbestehen behauptet wurde, kann man hier wohl nicht schließen.
Ein weiterer Brand ereignete sich am 25.04.1905. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass Otto Waßmuth auch als Oberführer der Freiwilligen Feuerwehr tätig war.
Die Produktion von Nähmaschinen wird 1906 aufgegeben. Immer mehr große Fabriken, auch aus den USA, drängen mit ihren erschwinglichen Produkten auf den Markt. Die Brandenburgia-AG produziert jetzt ausschließlich Fahrradteile und vermutlich in geringem Umfang Fahrräder (in dem Buch „Markenware Fahrrad“ wird 1906 eine Produktion von Rahmen nach D.R.P.214328 genannt).
Auch mit sportlichen Erfolgen wurde geworben: Beim Straßenrennen 1910 "Berlin- Rathenow-Berlin" über 225 km belegten Willy Kischkat aus Berlin den 1. Platz und Weber aus Zehlendorf den 3. Platz. Beide fuhren auf altbewährten und zuverlässigen "Branda" Freilaufnaben D.R.P.-No 214328 mit Rücktrittsbremse aus der Fabrikation "Brandenburgia", vorm. Waßmuth & Eisenmenger Akt. Gesellschaft Brandenburg an der Havel.
(Archiv Baars)
In den 1910er Jahren kommt es zu einem steigenden Konkurrenzdruck durch große Fahrradteilehersteller, die ihre Produkte aufgrund wesentlich höherer Stückzahlen günstiger anbieten konnten. Es wurden automatische Kopierdrehbänke und Fräsmaschinen eingesetzt. Ein besonders bekannter Fahrradteilehersteller ist die Firma Fichtel & Sachs.
Am 17.07.1912 verstirbt der Hauptaktionär der Brandenburgia-AG, Otto Waßmuth. Im Brandenburger Anzeiger vom 06.11.1912 wird folgende Bekanntmachung veröffentlicht:
Durch Beschluss der Generalversammlung vom 18.10.1912 wird die Brandenburgia-AG aufgelöst.
Zum Umfang der Produktion sind keine Zahlen bekannt, lediglich aus einigen Notizen im Brandenburger Anzeiger lassen sich Zahlen zu den Beschäftigten entnehmen. 1900 waren es 150 Beschäftigte, 1904 steigt die Zahl auf 170 Beschäftigte und 1911 sind es ca.100 Beschäftigte.
Mitte der 1920er übernahm die „Heinrich König GmbH, Honigkuchen, Waffel, Keks-und Schokoladenfabrik“ die Fabrikgebäude und das Wohnhaus Bauhofstr. 25. Im Brandenburger Adressbuch ist neben der Familie König auch noch die Witwe Elise Waßmuth ausgewiesen.
Die ehemaligen Gebäude der Brandenburgia-AG wurden dann zu DDR-Zeiten Bestandteil der „Konsü-Waffelfabrik“. Nach dem Konkurs der „Märkischen Waffel GmbH“ 1992 standen die Gebäude leer und waren zunehmend dem Verfall und dem Vandalismus ausgesetzt.
Aufgrund der bau-und wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung wurde der Gebäudekomplex der ehemaligen Kondor-und Brandenburgia-Werke im September 2016 als Beispiel für den Industriebau der Kaiserzeit und als Zeugnis für die vielfältige gewerbliche Produktion in der Stadt Brandenburg unter Denkmalschutz gestellt.